19 October 2023Moldova

Das schwindende Volk

Ist es möglich, den raschen Bevölkerungsrückgang in der Republik Moldau zu drosseln?

by Alexandr Macuhin
© Natalia Gârbu / NewsMaker


Moldau gehört unter den europäischen Ländern zu den Spitzenreitern beim Bevölkerungsschwund. Die wesentlichen Gründe dafür sind die hohe Sterblichkeit, die niedrige Geburtenrate und katastrophal hohe Migrationszahlen. Diese Gründe und mögliche Lösungsansätze für das weitreichende Problem analysiert der Soziologe und Journalist Dr. Alexander Makukhin:

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Im September und Oktober 2023 findet in Moldau probeweise eine Volkszählung statt. Das ist eine Art Training unter möglichst realistischen Umständen für die vollständige Volkszählung, die 2024 stattfinden soll. Viele finden das komisch: Die Menschen verstehen nicht recht, worum es geht, denn die letzte Volkszählung in Moldau ist fast zehn Jahre her. Sie fand im Mai 2014 statt und die Ergebnisse standen stark in der Kritik. Kritisiert wurde vor allem, dass große Teile der Bevölkerung, insbesondere in Chișinău, nicht erfasst worden waren. Aber heute ist das eigentlich kaum noch relevant.

Laut Gesetz soll eine vollständige Volkszählung nicht seltener als alle zehn Jahre durchgeführt werden, dementsprechend muss die nächste spätestens im Mai 2024 stattfinden. Die meisten haben das vergessen, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Ergebnisse der neuen Volkszählung bei der moldauischen Bevölkerung für einen Schock sorgen werden.

Unter den europäischen Ländern gehört Moldau zu den Spitzenreitern beim Bevölkerungsschwund. Die Hauptgründe dafür sind, vereinfacht gesagt, das Geburtendefizit – es sterben mehr Menschen als geboren werden (obendrein ist die Geburtenrate besonders niedrig und die Sterblichkeit besonders hoch) – und die Migrationsrate – es verlassen mehr Menschen das Land, als Menschen einwandern oder zurückkommen.

Folglich sind die drei Hauptprobleme der moldauischen Demografie: die niedrige Geburtenrate, die hohe Sterblichkeit und die katastrophal hohe Migration ohne Rückkehr.

Wie sind wir dahin gekommen?

In Moldau gibt es keine einzige Stadt mehr, Chișinău eingeschlossen, mit natürlichem Bevölkerungszuwachs – nicht einmal im Bereich der minimalen statistischen Relevanz (meistens sind das 0,1 Prozent der Bevölkerung). 2021 betrug der Bevölkerungsschwund in Chișinău im Vergleich zum Vorjahr 3 Prozent und in Bălți, der „Hauptstadt des Nordens“ sogar 8 Prozent.

Doch in Chișinău und Bălți wird ein Teil der Bevölkerung durch die inländische Migration aus den Regionen ersetzt, womit sich andere Städte jedoch nicht rühmen können – sie leiden sowohl unter dem Geburtendefizit als auch unter der Migration, und auch die Zahl der zugezogenen Bevölkerung ist marginal.

Eine Ausnahme der Regel bildet nur der Verwaltungskreis Ialoveni, genauer gesagt, sein nordwestlicher Teil und die Stadt Ialoveni, die sich teilweise zum Ballungsraum um Chișinău entwickelt haben. In Ialoveni ist ein Bevölkerungszuwachs durch jene Menschen auszumachen, die aus Chișinău wegziehen, um dann zwischen Hauptstadt und Vorort zu pendeln.

Der Norden Moldaus ist ärmer als der Süden, dementsprechend schreitet dort auch der Bevölkerungsrückgang schneller voran. Durchschnittlich liegt dieser in den nördlichen Regionen, mit Ausnahme von Bălți, bei etwa 12,75 Prozent. In den südlichen Regionen ist dieser Prozentsatz niedriger, gibt mit 8 Prozent aber auch keinen Anlass zur Freude. In der Region Cimişlia sind es beispielsweise 11 Prozent.

Letztlich führt die hohe Sterblichkeit von Menschen über 40 Jahren und die große Differenz in der Lebenserwartung von Männern und Frauen dazu, dass die moldauische Bevölkerung schwindet, auch ungeachtet der Migration.

Wenn die Geburtenrate die Sterberate übersteigt, wird die Differenz natürliche Bevölkerungsentwicklung genannt. Wenn die Geburtenrate unter der Sterberate liegt, spricht man von natürlichem Bevölkerungsrückgang. In Moldau herrscht bereits seit über fünf Jahren, seit 2017, durchgehend ein natürlicher Bevölkerungsrückgang. So gab es beispielsweise 2021 etwas mehr als 29.000 Lebendgeburten (totgeborene oder während der Geburt verstorbene Kinder werden in der Statistik nicht mitgezählt), 2022 waren es nur noch 27.000 oder ein Rückgang von 8 Prozent in nur einem Jahr.

Die Sterberate lag 2021 hingegen mit 45.000 viel höher (hier gilt es noch die Auswirkungen von Covid-19 zu berücksichtigen). Folglich betrug 2021 die Differenz zwischen den Lebendgeborenen und den Verstorbenen etwa 16.000.

2022 waren keine Auswirkungen der Pandemie mehr sichtbar, die Zahl der Verstorbenen sank auf etwa 36.000, doch die Differenz zwischen den Geburten und den Sterbefällen betrug dennoch über 9.000. Und diese Zahl wächst kontinuierlich, auch ohne die Pandemie.

Moldau gehört zu den europäischen Ländern mit einer ziemlich hohen Sterblichkeit und keiner allzu hohen Lebenserwartung. Ein wesentliches Problem ist die große Kluft zwischen der Lebenserwartung der Männer und der Frauen. Im Durchschnitt hat sich daran in den letzten fünf Jahren nichts geändert: Ein moldauischer Mann lebt 8,5 Jahre weniger als eine moldauische Frau. Wobei die Sterblichkeit bei Männern ab einem Alter vom 40 Jahren rapide zunimmt – auch diese Tendenz bleibt nahezu unverändert.

Die Kindersterblichkeit sinkt in Moldau kontinuierlich, was zu den wenigen positiven Entwicklungen in der moldauischen Demografie gehört.

Ein Problem ist auch die niedrige Lebenserwartung, die wesentlich langsamer steigt als in anderen europäischen Ländern. Momentan liegt sie in Moldau bei 71,4 Jahren, im benachbarten Rumänien hingegen bei 76,4 Jahren, in Bulgarien bei 75,5 Jahren, in Mazedonien bei 76,1 Jahren und in Serbien bei 76,3 Jahren. Vergleicht man diesen Wert mit Ländern, in denen das Sozial- und Gesundheitssystem besser entwickelt sind, ist die Differenz noch größer – und was noch schlimmer ist, sie wächst zunehmend. Beispielsweise lag die durchschnittliche Lebenserwartung 2022 in Frankreich bei 82,3 Jahren und in Deutschland bei 81,7 Jahren.

Das Durchschnittsalter der moldauischen Bevölkerung beträgt 40,3 Jahre. Gleichzeitig werden Menschen über 50 im Jahr 2040 höchstwahrscheinlich 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen, während diese Alterung der Gesellschaft in anderen EU-Ländern erst 2060 oder später erwartet wird.

2022 lag das ermittelte Geburtendefizit bei 9.100. Das ist deutlich weniger, als 2021, in dem das Geburtendefizit 16.100 betrugt, doch in diesem Jahr litt Moldau, wie alle anderen Länder, unter den Folgen der Pandemie, deren negative Auswirkungen erst Ende 2021 abnahmen.

Katastrophal hohe Migration

2021 betrug die Zahl der aus Moldau immigrierten Menschen 45.400. Im Jahr 2022 verließen 43.000 Menschen das Land. Insgesamt emigrierten zwischen 2014 und 2022 317.000 Menschen aus Moldau. Gleichzeitig hatte die Corona-Pandemie nicht nur eine kurzzeitige, aber sehr starke Auswirkung auf die Sterblichkeit, sondern machte vorübergehend auch eine Emigration unmöglich: 2020 starben fast 10.000 Menschen, aber nur 7.200 verließen das Land, was für die Geschichte der Migration aus Moldau ein einmalig niedriger Wert ist.

Aber das ist noch nicht alles. Es geht nicht nur um die hohe Zahl – es ist wichtig, zu bedenken, dass der Großteil derjenigen Menschen, die das Land verlassen haben, zwischen 20 und 34 Jahr alt war. Wobei sich dieser Wert allmählich verändert, 2020 verließen vor allem Jugendliche im Alter zwischen 15 und 20 Jahren das Land. Abgesehen davon, dass diese Menschen die wesentliche Triebkraft wirtschaftlicher Prozesse sind, was auf der Hand liegt, gibt es noch einen weiteren Aspekt, der oft vergessen oder außer Acht gelassen wird: Diese Menschen verfügen nicht nur über physische Arbeitsfähigkeit, Kraft, Kompetenzen und intellektuelles Potenzial – sondern sie sind außerdem künftige Eltern.

Dabei liegt Moldau bei der durchschnittlichen Geburtenrate mit 1,8 Kindern pro Frau eigentlich an der Spitze der europäischen Länder, doch weil ein Großteil der Frauen im fruchtbaren Alter das Land verlässt, gibt auch das wenig Anlass zur Hoffnung.

Den „goldenen Standard“ von 2,1 Kindern pro Frau (der es theoretisch ermöglicht, die Bevölkerungszahl auf einem stabilen Niveau zu halten) gibt es heute in keinem EU-Land und auch in keinem der Beitrittskandidaten-Länder. In dem asiatischen Teil der ehemaligen Sowjetunion hat nur ein Land diesen Wert (2,1), nämlich Georgien. Doch vermutlich wird er auch dort im nächsten Jahr sinken. Außerdem leidet Georgien genau wie Moldau unter einer sehr hohen Migrationsrate.

Die Wirklichkeit sieht so aus, dass der Großteil der Kinder, die im Ausland geboren wurden, selbst wenn beide Elternteile die moldauische Staatsbürgerschaft haben, Moldau nur noch als Touristinnen bzw. als Touristen bereisen, in den Ferien die Großeltern besuchen oder sich einfach die Orte ansehen, in denen ihre Eltern geboren wurden und aufgewachsen sind.

Dabei behalten die meisten dieser im Ausland Geborenen die moldauische Staatsbürgerschaft wahrscheinlich bis an ihr Lebensende. Zumindest wenn sich das Land, in dem sie leben, nicht durch eine besonders strenge Einbürgerungspolitik auszeichnet. Außerdem haben alle Kinder von mindestens einem Elternteil mit moldauischer Staatsbürgerschaft ebenfalls das Recht, diese zu erhalten. Doch diese Papiere sind, auch wenn sie ausgestellt werden, nur Zahlen in der Statistik, die keinen realen Einfluss auf Moldau haben.

Arbeitskräftemangel

„Die Leute wollen nicht arbeiten“ oder „Es fehlen Arbeitskräfte“ – eine dieser beiden Klagen, so oder so ähnlich, hört man von nahezu allen Unternehmerinnen und Unternehmern oder Geschäftsleiterinnen und Geschäftsleitern in Moldau. Erst recht, wenn es um Fabrik- und nicht um Büroarbeit geht und die Fabriken außerhalb von Chișinău liegen.

Das durchschnittliche Gehalt für Tätigkeiten, die physische Arbeit und keine besondere Qualifikation erfordern, liegt bei 8.000 bis 10.000 Leu (etwa 420 bis 520 Euro). Fachpersonal mit Erfahrung bekommt für gewöhnlich 14.000 bis 18.000 Leu (etwa 730 bis 930 Euro), das höhere Gehalt ist aber auch an höhere Anforderungen geknüpft. Doch der Arbeitskräftemangel stellt auch bei Personal ohne jegliche Qualifikation ein enormes Problem dar.

Viele ortsansässige Produktionsstätten wie Stofffabriken betreiben einen Shuttleservice mit Bussen, um ihre Mitarbeitenden zur Arbeit und nach Hause zu bringen – diese Busse sind bisweilen 350 bis 400 Kilometer in eine Richtung unterwegs.

Man muss dazu sagen, dass die Luftlinie vom Westen in den Osten Moldaus etwa 150 Kilometer und vom Norden in den Süden etwa 350 Kilometer beträgt. Dieses Beispiel verdeutlicht sehr gut eines der wesentlichen Probleme, das eng mit der Bevölkerungszahl verbunden ist – es ist das Problem des Arbeitskräftemangels, nämlich das Problem des Mangels an Menschen, die überhaupt physisch in der Lage wären zu arbeiten.

Insgesamt lag 2022 die Zahl der arbeitsfähigen Menschen bei 890.000, von denen 27.000 arbeitslos waren.

Die wenigsten moldauischen Arbeitgeber und Arbeitgerberinnen beschäftigen sich mit Soziologie, Demografie oder Migration, sondern sie versuchen einfach, schnell einen Ausweg aus der Situation zu finden. Meistens entscheiden sie sich dafür, Arbeitsmigranten und -migrantinnen aus anderen Ländern zu beschäftigen, allem voran aus den Republiken Zentralasiens.

Die Gründe dafür sind denkbar einfach, womöglich sogar zynisch. Der Durchschnittslohn in Usbekistan liegt, umgerechnet in moldauische Leu, bei knapp 5.000 (etwa 260 Euro). In Tadschikistan sogar drunter: bei etwa 3.800 Leu (etwa 198 Euro). Wegen des stabilen Bevölkerungswachstums und der schwachen Wirtschaft ist es nicht immer möglich, eine Anstellung zu diesen Konditionen zu finden. In Moldau gibt es diese Arbeitsplätze zuhauf.

Hinzu kommt, dass der stetig fallende Rubelkurs und die Versuche der russischen Regierung, Arbeitsmigranten in den Krieg gegen die Ukraine zu schicken oder für Arbeit auf besetztem Gebiet der Ukraine einzusetzen, nicht dazu beitragen, dass die Menschen sich für Russland als Migrationsziel entscheiden.

In Moldau herrscht Visafreiheit für fast alle zentralasiatischen Staaten, mit Ausnahme von Turkmenistan, und auch an dem Niveau der russischen Sprache, die die Arbeiter und Arbeiterinnen sprechen, haben die moldauischen Arbeitgeber und Arbeitergeberinnen verständlicherweise nichts auszusetzen.

Manche versuchen, die Situation auszunutzen und die ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen illegal zu beschäftigen. Doch in Kleinstädten und Dörfern lassen sich die Menschen schlecht verstecken, außerdem sind die Geldbußen für Schwarzarbeit gestiegen, deswegen sind die meisten mittlerweile bereit, die Menschen legal anzustellen. Dafür genügt in der Regel ein Arbeitsvertrag mit einem Gehalt über 11.000 Leu (sogar inklusive Steuern), der einen dazu berechtigt, eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen.

Für immer mehr Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen wird das zum naheliegenden Ausweg. Außerdem ist der Armut geplagten moldauischen Provinz kein Alltagsrassismus eigen. Die Menschen wissen: Wenn beispielsweise eine Fabrik eröffnet wird, selbst wenn dort Zugereiste arbeiten, zieht das eine Sanierung der Straßen in der Umgebung und die Eröffnung neuer Geschäfte nach sich. Außerdem können die Einheimischen Wohnungen an die Arbeiter und Arbeiterinnen vermieten.

Deswegen lassen sich die Probleme des Arbeitskräftemangels und des Bevölkerungsrückgangs nicht gleichsetzen. Arbeiter und Arbeiterinnen für eine Fabrik zu gewinnen, sei es für ein Jahr oder sogar für mehrere, ist nicht schwer. Erst recht, wenn man das Stereotyp vom „ärmsten Land Europas“ beiseite lässt. Das Problem des Bevölkerungsrückgangs hingegen ist deutlich schwerer zu lösen.

Was ist mit Transnistrien?

Die offizielle Statistik, die vom Nationalen Statistikamt erhoben wird, gibt seit 2002 keinen Aufschluss über die Situation in Transnistrien [Vgl. die Analyse des OWM. – Anm. d. Red.], deswegen betreffen auch alle in diesem Artikel angeführten Daten nicht die Bevölkerung jenes Gebietes, das de facto nicht von der moldauischen Regierung kontrolliert wird. Unabhängige Untersuchungen gab es seitdem auch keine. Aber 2004 und 2015 hat die selbsternannte Regierung Transnistriens eigene Volkszählungen durchgeführt.

Es hieß, dass 2015 in der Region etwas mehr als 475.000 Menschen lebten, doch diese Werte halten keiner Kritik stand, es wurde auch nicht transparent gemacht, wie die Daten erhoben wurden. Anfang 2023 wird die Bevölkerung Transnistriens auf etwa 305.000 bis 310.000 geschätzt, von denen ein Drittel in Tiraspol und etwa ein Viertel in Bender lebt.

Ohne einen Zugang zu genauen Daten ist es schwer, die sozial-demografische Situation in Transnistrien einzuschätzen. Aber wir können festhalten, dass der Bevölkerungsschwund noch schneller voranschreitet als im Rest Moldaus.

Schätzungen

Nach einer (neutralen) Schätzung des Zentrums für demografische Forschung Moldaus ist es wahrscheinlich, dass die Bevölkerung in naher Zukunft weiter schwinden und 2040 nur noch 1,925 Millionen betragen wird, sprich um 28,2 Prozent zurückgehen wird.

Es gibt außerdem auch eine positive und eine negative Schätzung. Bei der negativen geht die Bevölkerungszahl bis 2040 auf 1,755 Millionen, also um 34,5 Prozent zurück. Bei der positiven Schätzung geht man davon aus, dass der Bevölkerungsschwund bei 2,095 Millionen stagnieren wird, folglich 2040 um 21,5 Prozent zurückgegangen sein wird.

Eine Schätzung, die von einem Bevölkerungswachstum ausgeht oder auch nur von einer Stagnation bei 2,512 Millionen, also den Werten von Anfang 2023, gibt es nicht.

Das Gespenst des Bevölkerungsschwunds

Die Erfahrung anderer osteuropäischer Länder, die Maßnahmen gegen den Bevölkerungsrückgang und die Migration ergriffen hatten, zeigen, dass die meisten davon nicht von Erfolg gekrönt waren. Die Versuche, Migranten und Migrantinnen zurückzuholen, wie Polen oder Rumänien sie unternahmen, brachten keine sichtbaren Ergebnisse. Beide Länder stehen auch 2023 vor einer Reihe ungelöster Probleme mit der Migration und düsteren demografischen Prognosen für die nähere Zukunft.

Eine Vielzahl der angekündigten politischen Maßnahmen, um der Diaspora eine Rückkehr attraktiv zu machen, sind bislang ohne messbaren statistischen Erfolg geblieben. Ebenso wenig ist es gelungen, Migranten und Migrantinnen ins Land zu holen, die nicht nur arbeiten, sondern auch langfristig bleiben und sich integrieren wollen. Beispielsweise kamen 2021 etwas über 4.800 Menschen nach Moldau, die sich länger als ein Jahr ununterbrochen im Land aufhielten (diese Zählung ermöglich es, Touristinnen und Touristen auszuschließen). Und nur 85 Bürgerinnen und Bürger anderer Staaten, die die Wiederherstellung ihrer moldauischen Staatsbürgerschaft beantragt haben. Diese Zahlen kann man guten Gewissens als statistisch irrelevant bezeichnen. Irgendwelche positiven Entwicklungen sind mit Blick auf diese Zahlen ebenfalls nicht zu erwarten.

Gibt es eine Lösung?

Nahezu sinnlos erscheint es, an die moldauische Diaspora zu appellieren, sie möge zurückkommen, ist sie doch über fast alle EU-Länder, die USA, Kanada, Australien und viele andere Staaten verteilt. Erscheint dieses Vorgehen auch politisch verlockend, so zeigen die Statistiken dreier besser entwickelter europäischer Länder (Irland, Polen und Rumänien), die versucht haben, ihre Bürger*innen zu einer Rückkehr in die Heimat zu bewegen, dass nennenswerte Effekte ausblieben.

Deutlich mehr sollte es bringen, in die Qualität von Humankapital innerhalb des Landes zu investieren. Die Qualität von Humankapital setzt sich, vereinfacht gesagt, aus dem Bildungsniveau und dem Niveau der physischen und psychischen Gesundheit der durchschnittlichen Bevölkerung zusammen. Dementsprechend gilt es in zwei Cluster zu investieren: Bildung und Medizin.

Unter unseren Bedingungen müsste man noch ein Mindestmaß an Infrastruktur hinzufügen, sprich asphaltierte und qualitativ hochwertig gebaute Straßen, die mindestens die fünfzehn größten Städte des Landes mit einer Bevölkerung von über 20.000 miteinander verbinden.

Berücksichtigt man außerdem den Arbeitskräftemangel, der schon heute massiv ist, sollte man bereits jetzt das Anwerben ausländischer Arbeitskräfte maximal erleichtern, obwohl dies große Kritik nach sich ziehen wird, die in ihrem Wesen populistisch ist.

Bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage in Moldau ist es unmöglich, sofort Arbeitsplätze für hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten aus entwickelten EU-Ländern, zu denen auch ein Teil der moldauischen Diaspora gehört, attraktiv zu machen.

Aber arbeitsfähige Menschen ins Land zu holen, die auch unter den gegenwärtigen Umständen zu arbeiten bereit sind – und zwar offiziell, mit allen notwenigen Dokumenten und Steuerzahlungen an den moldauischen Staat, und ihnen alle rechtlichen Möglichkeiten für eine vollwertige Integration in die moldauische Gesellschaft zu geben – das ist möglich, und zwar in relativ kurzer Zeit und ohne große Investitionen.

Aus dem Russischen übersetzt von Maria Rajer

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