Жыццё пад сталом
Напярэдадні Невядомага беларуская пісьменніца гуляецца з Мінулым
20 December 2023
Nach Jahrzehnten des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan, einschließlich des Ersten Karabach-Kriegs in den 1990er Jahren und des Zweiten Karabach-Kriegs 2020, der monatelangen Blockade von Arzach und schließlich der ethnischen Säuberung der armenischen Bevölkerung in Bergkarabach im September 2020 muss die transformative Erinnerungspolitik in Armenien neu überdacht werden. Die Kulturanthropologin und Schriftstellerin Lusine Kharatyan setzt sich in ihrem Essay für OSTWEST MONITORING mit dem kollektiven Gedächtnis und den Denkmälern auseinander, die an die tragischen Ereignisse gemahnen, von denen Millionen Armenier betroffen waren. Lusine Kharatyans literarisches Werk steht für eine anthropologische Wende in der zeitgenössischen armenischen Prosa. Die Autorin ist aktives Mitglied im armenischen PEN und stand 2021 und 2023 auf der Shortlist für den Literaturpreis der Europäischen Union. Ihr neuester Roman „Syriavep“ („Eine syrische Affäre“) und andere Prosaarbeiten wurden auf einer Veranstaltung anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2023 vorgestellt.
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Für Lusine, die es gestern gab
#America_place 21
Wieder dieser Nachtalarm. Und ich, im Pyjama, im hastig übergeworfenen Mantel, am Bauch aufgeknöpft, die bloßen Füße in Stiefeln. Wer kocht denn so spät noch? Die Feuerwehrleute laufen schnell herein und hinaus. Diesmal gibt es auch Rauch. Ich friere, kauere mich zusammen. Ich lege die Hände um den Bauch, um ihn vor der Kälte zu schützen. Vor mir ist Akram, mein aserbaidschanischer Klassenkamerad. Er geht unaufhörlich auf und ab. In Hausschuhen, einer kurzen, achtlos übergeworfenen Jacke, mit einer Aktentasche, die er fest umklammert hält. Er bewahrt alle seine Papiere an einem Ort auf, damit sie ohne langes Suchen bereitliegen, wenn er schnell weglaufen muss. Lachend sagt er, dass er diese Gewohnheit von seiner Mutter übernommen hat; als sie aus Ağdam flohen, konnten sie nichts mitnehmen. Und das hat noch viele Jahre lang Probleme gemacht. Ohne Papiere konnten sie das Land nicht verlassen. Und jetzt, in Amerika, im Zentrum der Welt, aus dem man nicht flieht, weiß er, worauf es ankommt. Im Leben. Vor allem, wenn man fliehen muss. Vielleicht ist seine Heimat diese Aktentasche mit Dokumenten. [1]
Ein sonniger Oktobermorgen. Du gehst im Eilschritt über die Sayat
Du wirst falsch verstanden werden. Sie haben nichts gesagt, als du den Text über deinen aserbaidschanischen Klassenkameraden vor dem
Am Tscharenz-Denkmal verabschiedest du dich von deinem Kollegen. Du biegst links in die Alek-Manukyan-Straße ab. Alek Manukyan, oder Alex Manoogian, war aus Detroit. Einem Ort, wo es eine
Alex Manoogian erstreckt sich unter deinen Füßen. Links von dir ist die Nemesis. Ein nach dem 44-Tage-Krieg errichtetes Denkmal. Die neueste Erinnerung, die sich in der Haut Jerewans festgesetzt hat. Dem Ringpark. Eine Kreuzung weit entfernt von Mikael Nalbandian, dem Dichter der Freiheit, der vor dem Gebäude des Nationalen Sicherheitsdienstes dem Wind ausgesetzt ist, und von den Monumenten zu Ehren der armenisch-russischen Freundschaft und zum Gedenken an die Genozide an Jesiden und Assyrern. Ja, Nalbandian, Aufgeklärter und Aufklärer, der von der zaristischen Ochrana ins Gefängnis geworfen wurde, steht stolz vor dem
Der Genehmigungsantrag zur Errichtung des Nemesis-Denkmals wurde vor dem Krieg bei der Stadtverwaltung von Jerewan gestellt. Der Magistrat überlegte, ob es sinnvoll sei, noch ein weiteres Monument an einem Platz aufzustellen, wo bereits so viele Denkmäler vom Genozid berichten und zudem Denkmäler für die armenischen Rächer aus verschiedenen Jahren stehen. Doch dann kam der 44-Tage-Krieg im Herbst 2020 und es gab nicht mehr viele Geschichten, es gab die Geschichte. Das Denkmal wurde errichtet, die Türkei war „verletzt“ und stellte den Flugbetrieb nach Jerewan ein, änderte einmal mehr die Sprache ihrer Kommunikation mit Armenien: Was für eine Respektlosigkeit gegenüber der Türkei, wie könnt ihr es wagen, der Terroristen zu gedenken. Ihr beleidigt das Türkentum. Würde Kemal Atatürk sagen. Ihr wollt also Rache. Nikol Paschinjan versuchte zu erklären: „Zu den Unzulänglichkeiten der Demokratie gehört, dass die Behörden oder der Regierungschef nicht alles sind und nicht alle kontrollieren. Wenn Sie an meiner Meinung interessiert sind – ich denke, dass die Entscheidung falsch war, und ihre Umsetzung auch.“ Aber nun steht das Monument. Zwischen dem Tscharenz-Denkmal und der Statue Nalbandians
Und auch wenn Soghomon Tehlirian in Berlin Tâlat Pascha erschoss (und es dann einen Prozess gab, in dem er von einem zwölfköpfigen Geschworenengericht für „nicht schuldig“ befunden wurde und der auch Raphael Lemkin bei der Definition des völkerrechtlichen Begriffs „Genozid“ beeinflusste, erinnert sich daran heute so gut wie niemand. Denn Geschichten werden immer unter der Geschichte begraben. Es ist eine Erzählung in der Sprache der Mächtigen. Vom Standpunkt DER GESCHICHTE aus. Und diese Sprache gibt ihre Regeln vor.
Im Armenischen wird die Sprache der Erinnerung und des Erinnerns vom Gedenken an den Genozid dekretiert. Es ist die einzige Form des Erzählens, die all die anderen Geschichten ohne eigene Sprache in sich begräbt. Die Alternative war die allsowjetische Sprache der Geschichtserzählung. Das Brudergrab von Stepanakert [2] war ein interessanter Ort, um des Todes zu gedenken und ihn zu memorialisieren. Zuerst stand dort ein klassisches Monument zum Gedenken an den Vaterländischen Krieg. Dann expandierte das Mahnmal, es füllte sich mit den Grabsteinen der Teilnehmer der Karabach-Kriege und trieb weiter aus: das Denkmal für Opfer des Pogroms von Sumgait kam hinzu, dann das Mahnmal zur Erinnerung an den Genozid. „Den Opfern des Großen Armenischen Erdbebens“. Das steht auf dem Denkmal für die Erdbebenopfer von 1988. Wenn die Sprache des Großen Armenischen Yeghern [3] die einzige ist, in der sich eine Katastrophe erzählen lässt, wird auch ein Erdbeben zur Sache der Nation. Selbst Erdbeben werden nationalisiert.
Nein. Dein Ohr will dieses „GROSS“ nicht hören. Hattest du keine Sprache, dass der Genozid in der Sprache der Macht erzählt wurde? Du, die du eine der ältesten Sprachen der Welt sprichst und seit dem fünften Jahrhundert in dieser Sprache schreibst? Hat die sowjet-armenische Sprache des Genozids ihre Form von der sowjetischen „Großen Oktoberrevolution“, dem „Großen Vaterländischen Krieg“ oder dem „Großen Sieg“ übernommen? Oder vielleicht vom Großen Terror? Gab es diese Form auch im Westarmenischen? Die Sprache der Macht ist erdrückend. Legt die Sprache der Macht ab. Damit es viele Geschichten geben kann. Viele Erinnerungen.
Der aserbaidschanische Angriff, der auf die neunmonatige Belagerung von Arzach/Karabach folgte, hat die Geschichten ein weiteres Mal begraben. Selbst die Möglichkeit von Geschichten. Er hat sie sehr, sehr tief begraben. Oder vertrieben. Es gibt weder Ort noch Zeit, eine neue Sprache zu schaffen, um die Katastrophe zu erzählen. Zumal die Sprache und die Geschichte gut beherrscht werden. Und neben dem öffentlichen gibt es noch das individuelle und das Familien-Gedächtnis. Persönliche Geschichten und Familiengeschichten von Arzach bis Armenien werden in der öffentlichen, verständlichen, fassbaren, ausgetretenen Mainstream-Sprache und den Formen des Genozids erzählt.
Und du willst, dass die Sprache des Einhandmischers zur Weltsprache werden soll. Wurde er nicht erfunden, damit die Hände nach dem Waschen nicht wieder in Kontakt mit Bakterien kommen? Damit man den Wasserhahn nicht mit der Hand schließen muss, sondern ihn hinabdrücken kann. Das ist das Narrativ, das du dir ausgesucht hast. Die Geschichte der Antibiotika, nicht die der Atombombe. Und du willst, dass Alex Manoogians Geschichte neben den Einhandmischern an allen öffentlichen Plätzen der Welt angebracht wird: In Hotels, Theatern, Konzertsälen, Sportstätten, Universitäten und Schulen. Dort stünde dann:
Einhandmischer: Erfunden von Alex Manoogian, der 1915 den Völkermord an Armeniern im Osmanischen Reich überlebte und mit seiner Familie in die USA zog.
Kannst du dir vorstellen, wie vielen Leuten so der Genozid an den Armeniern ins Gedächtnis gebrannt würde? Ein weltweites Denkmal. Wie die Armenier selbst. Willst du nicht, dass die Sprache des Einhandmischers Weltsprache sein soll? Weil sie die Sprache der Antibiotika ist und nicht die der Atombombe.
Irgendwo in einer anderen Realität meldet die deplatzierte Sprache:
Informationsbulletin des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation zur Tätigkeit des russischen Friedenskontingents in der Zone des Berg-Karabach-Konflikts (23. Oktober 2023)
Die russischen Friedenstruppen nehmen weiterhin Aufgaben auf dem Gebiet von Karabach wahr. In kontinuierlicher Zusammenarbeit mit Baku sollen Blutvergießen vermieden, Sicherheit gewährleistet und die Normen des humanitären Völkerrechts gegenüber der friedlichen Bevölkerung gewahrt werden.
Im Zuständigkeitsbereich des russischen Friedenskontingents wurden keine Verstöße gegen den Waffenstillstand gemeldet.
Und du löschst deine Dokumente aus der iCloud. Du zögerst einen Moment. Dann lädst du sie wieder hoch. Und die Fotos auch. Von der Familie, vom Leben, den Lieben, dem Platz. Du bist ein Mensch, du weißt nicht, wo du wann landen wirst. Vielleicht solltest du mehr Memory-Kapazität kaufen? Damit deine vertriebene Heimat einen Platz zum Leben hat.
Aus dem Englischen übersetzt von Anselm Bühling
[1] Das Zitat ist der Erzählung von Lusine Kharatyan entnommen, die hier werden kann.
[2] „Братская могила“, wörtlich „Brudergrab“, ist der russische Ausdruck für „Massengrab“ – einen Ort an dem viele Menschen beerdigt sind, die meist zusammen bei einer Schlacht ums Leben kamen. In Armenien wird der Ausdruck auch für Gedenkstätten zum Zweiten Weltkrieg verwendet, die durch Namensnennung an Vermisste oder am Kampfschauplatz Bestattete erinnern.
[3] „Братская могила“, wörtlich „Brudergrab“, ist der russische Ausdruck für „Massengrab“ – einen Ort an dem viele Menschen beerdigt sind, die meist zusammen bei einer Schlacht ums Leben kamen. In Armenien wird der Ausdruck auch für Gedenkstätten zum Zweiten Weltkrieg verwendet, die durch Namensnennung an Vermisste oder am Kampfschauplatz Bestattete erinnern.
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