Жыццё пад сталом
Напярэдадні Невядомага беларуская пісьменніца гуляецца з Мінулым
20 December 2023
Optimisten reden viel über den unvermeidlichen Sieg der Demokratie. Oft begründen sie dies mit einer geschichtlichen Zwangsläufigkeit: „Alle Diktaturen stürzen früher oder später.“ Der Schriftsteller und Übersetzer Kanstanzin Tscharuchin, beteiligt an den belarussischen Protesten und zweifach Geflüchteter, hinterfragt diese Zwangsläufigkeit in seinem Essay. Gleichzeitig versucht er, die Bedingungen auszumachen, die trotz allem imstande sind, das Fundament des Bösen zu erschüttern.
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1992 verkündete Francis Fukuyama den zwangsläufigen Sieg der Demokratie auf globaler Ebene. In den 2000er Jahren war sein Buch „Das Ende der Geschichte“ eine Lektüre, die man politischen Häftlingen in Belarus ins Gefängnis schickte, (ja, es gab in Belarus in den 2000er Jahren politische Häftlinge), denn es flößte die Hoffnung und sogar die Zuversicht ein, dass wir uns auf soliden historischen Schienen bewegten. Und wie tröstlich war es vor drei Jahren, 2020, für die protestierenden Belarussinnen und Belarussen, als der russische Videoblogger Maxim Katz sagte, wir würden unbedingt, ganz bald und unweigerlaich siegen, da die demokratischen Aufstände in der modernen Welt fast immer siegen würden
Und dennoch haben wir nicht gesiegt. Na gut, das kommt vor. Nicht alle Aufstände waren immer erfolgreich, besonders wenn sie friedlich waren, und niemand hatte uns sofort 100 Prozent versprochen. Doch der Sieg liegt noch vor uns, nicht wahr? Man muss nur den Mut haben, zu warten! Alle Imperien zerfallen früher oder später, Diktatoren sterben, Diktaturen verschwinden unweigerlich, oder?
Das scheint allerdings nicht ganz zuzutreffen. Beobachten wir denn nicht eine jahrhundertelange, faktisch ewige autoritäre Herrschaft in China (das übrigens allen Parametern nach auch ein Imperium ist) und ähnliche Systeme in den meisten Ländern der muslimischen Welt? Und in Indien, das als Demokratie gilt, ist der Druck des Kastensystems auf das Individuum so stark, wie es sich kein autoritäres staatliches System je erträumen könnte. Dabei kann man kaum von einer Veränderung zum Besseren in diesem „globalen Süden“ ausgehen, und dieser „Süden“ rückt immer näher an uns heran, da der benachbarte „Osten“ mit ihm immer enger verflochten ist. Demnach haben wir keinen Grund anzunehmen, dass sich mit der Zeit alles zum Besseren wendet, wenn sich die Menschheit nicht bewusst darum bemüht.
Aber selbst wenn die Demokratie sozusagen „im Laufe der natürlichen Entwicklung“ entstehen und wie der Frühling ganz von allein kommen würde, könnten wir denn sicher sein, dass wir ihr gewachsen sind? Wir, die wir die Kunst der Demokratie nicht erlernt haben, die Prüfung nicht bestanden haben? Denken wir an Fareed Zakaria: „... In der heutigen Welt ... stehen die beiden Stränge der liberalen Demokratie, die das Herzstück des westlichen politischen Modells bilden, zunehmend im Widerspruch zueinander. Die Demokratie floriert, die Freiheit nicht.“ (Fareed Zakaria: „The Future of Freedom: Illiberal Democracy at Home and Abroad“). Wenn wir nicht über die Welt als Ganzes sprechen, sondern über Europa, wo der demokratische Mechanismus bereits am Laufen ist, dann bleibt das Dilemma von Richard Holbrooke, das Zakaria in eben diesem Buch zitiert: „Nehmen wir an, dass freie Wahlen stattgefunden haben, aber gewählt wurden Rassisten, Faschisten und Separatisten. Das ist der eigentliche Widerspruch.“ Man kann sagen, dass wir, die Belarussinnen und Belarussen, diesen Widerspruch schon vor fast 30 Jahren erlebten: Der erste und bisher einzige Präsident wurde mit der Mehrheit der Stimmen durch ehrliche demokratische Wahlen gewählt.
Anschließend „wählte“ er sich immer wieder selbst: Er übernahm die volle Kontrolle über die Stimmauszählung, und um die Empörung des Volkes zu unterdrücken, schuf und kultivierte er einen Macht- und Bürokratieapparat, dessen Ausmaß und Loyalität die sowjetischen Vorgängermodelle weit hinter sich lässt. Infolgedessen wurde Belarus zum Spitzenreiter bei der Anzahl von Polizisten (in unserem Land werden sie noch immer nach sowjetischem Vorbild „Milizen“ genannt) pro Einwohner. Und in Bezug auf die Anzahl von Regierungsbeamten – 4,2 Prozent aller Werktätigen – übertrifft Belarus sogar Russland (dort sind es 3,3 Prozent).
Und wenn wir, die wir die Revolution von 2020 mit eigenen Augen sahen, sagen, dass die Mehrheit in Belarus gegen Lukaschenka ist, sollten wir daran denken, dass diese Hunderttausenden von Milizen und Bediensteten auch Familien, treue Freunde und liebevolle Verwandte haben ... Wie viele sind es – die finanziell von ihrem Posten anhängen, die Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren (oder ihre Freiheit oder ihren Kopf – Lukaschenka wiederholt gerne Drohungen wie „Ich reiße dir den Kopf ab“)? Und dann gibt es noch diejenigen, die aufrichtig dem Regime dienen (denn wir wissen, dass viele Menschen auf der Welt „Recht und Ordnung“ lieben). Wie viele von ihnen, die mit dem Regime einverstanden sind und es unterstützen, gibt es unter den zehn Millionen Belarussen? Niemand weiß es.
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Und wie viele Belarussen sind für die Demokratie? Laut dem
Es stellt sich jedoch die Frage, mit welchen Mitteln eine liberal-demokratische Minderheit eine Vormachtstellung im Staat und in der Gesellschaft erlangen soll. Und wie sollen die „konsequenten Befürworter der Demokratie“ (in welchem Sinne sie auch immer verstanden werden) mit ihren, gelinde gesagt, „nicht so konsequenten“ Mitbürgerinnen und Mitbürgern interagieren, ohne die traurige Erfahrung von 1994 zu wiederholen?
Auf die erste Frage gibt es keine sicheren Antworten. Erinnern wir uns daran, dass die wichtigste (vielleicht nicht allen bewusste) Quelle der Angst der Staat Russland war. Diese Gefahr ist real und keineswegs übertrieben. Wären wir 2020 erfolgreich gewesen, hätten wir mit einer Intervention Russlands rechnen müssen, wie die Staaten des Warschauer Paktes bis Ende der 1980er. Eine Veränderung in Russland liegt aber leider nicht in unserer Hand. Die Belarussinnen und Belarussen (sowohl innerhalb des Landes als auch die im Exil) haben noch weniger Einflussmöglichkeiten auf solche Veränderungen als die Russen selbst. Wir haben weder legale Parteien noch intellektuelle Klubs. Unser Untergrund – die berüchtigten „Schläferzellen“ – existiert vor allem in der Vorstellung von Geheimdienstlern. Bleibt uns denn wirklich nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass der Autoritarismus unweigerlich zusammenbricht?
Nehmen wir an, es ist endlich so weit. Russland scheidet aus dem Spiel aus, der belarussische Autoritarismus bricht zusammen – es wiederholt sich sozusagen das Szenario von 1991. Wie wäre dann die Antwort auf die zweite Frage? Ist der aktive Teil der pro-demokratischen Kräfte nun bereit, seine eigene Variante des „aufgeklärten Autoritarismus“ zu etablieren, die die liberalen Freiheiten garantieren soll? Werden diese Kräfte genug Geduld und Taktgefühl haben, nicht nur am Vorabend der Wahlen auch Meinungen und Wünsche der zögerlichen und der passiven Menschen zu berücksichtigen, die nichts für den Sieg ihrer erwünschten, demokratischen Regierung getan haben?
Meiner Meinung nach ist das ein doppeltes Problem: Wie übersteht man den „Winter“, ohne zu erfrieren und wie schafft man es gleichzeitig, im „Frühling“ nicht im Schlamm zu ertrinken?
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Und hier möchte ich einen vorsichtigen, zurückhaltenden Optimismus zum Ausdruck bringen. Abgesehen von der Tatsache, dass die Bevölkerung sich immer besser auskennt und immer besser informiert ist, abgesehen von einem Wertewandel, der im BISS-Bericht erwähnt wird, beobachte ich, insbesondere im für Belarus so brutalen Jahr 2020, ein Phänomen, das sich nur schwer in Worte fassen lässt.
Empathie und Solidarität. Das ist es, was sich in letzter Zeit wirklich verändert hat. Das äußerst rigide sowjetische System stützte zwar nach außen hin einen Kollektivismus, zerstörte aber gleichzeitig den Altruismus und den Sinn für gegenseitige Hilfsbereitschaft – die beiden letzteren sind eng miteinander verbunden. In den 1980ern wurde viel darüber geredet, dass man sich durchsetzen und „mit den Ellenbogen arbeiten“ solle; noch etwas früher etablierten sich der nüchterne Zynismus und der Geschäftssinn als überdimensioniert positive Werte. Doch innerhalb der letzten Jahrzehnte, als die rigide Aufmerksamkeit und die Fürsorge des Staates schwächer wurden und gleichsam zerfielen, lernten die Menschen, sich gegenseitig zu helfen. Dabei geht es gar nicht so sehr um die NGOs, obwohl sie in Belarus eine beträchtliche Rolle spielten und sie unter anderem als erste Modelle der Selbstorganisation fungierten (es war kein Zufall, dass der Staat 2021 eine großangelegte „Säuberung“ der NGOs durchführte). Mir geht es vielmehr um nicht organisierte, nicht formelle, sozusagen „formlose“ Mikro-Strukturen. Sie waren bis vor kurzem noch gar nicht so sichtbar.
Doch im Jahr 2020 – da loderten sie auf. Und das Faszinierende, das Offensichtliche und das Unglaubliche daran war die massenhafte Bereitschaft der Menschen, sich gegenseitig zu helfen. Dabei waren die Protestmärsche, bei denen Hunderttausende auf die Straße gingen, nur eine eindrucksvolle, aber oberflächliche Folge anderer, tiefgründigerer Prozesse.
Eigentlich ging alles schon Anfangertetendenzen“, „... 2020 los. Der Beginn der Pandemie. Nur noch ein halbes Jahr bis zu den Präsidentschaftswahlen. Während sich Lukaschenka und seine Handlanger respektlose Äußerungen über die an Corona Gestorbenen erlaubten („Wie kann man mit 135 Kilo überhaupt leben?“ oder „Der wird morgenertetendenzen“, „... 80! Wieso läuft der mitertetendenzen“, „... 80 ertetendenzen“, „... noch über diese Straße, wieso geht der arbeiten?!“, während die Staatsmacht das Problem negierte, log und sich aufblies, nicht einmal fähig, medizinische Institutionen mit Schutzmitteln auszustatten, startete landesweit eine massive Freiwilligenkampagne: In den sozialen Medien entstand die Initiative mit dem Hashtag #ByHelp.
Leute teilten sich über die sozialen Medien die Arbeit auf, kauften Materialien ein, brachten sie zu denjenigen, die in ihrer Freizeit zu Hause medizinische Schutzanzüge aus Gartenvlies nähten; Leute bastelten medizinische Masken aus Schnorchel-Masken, druckten fehlende Teile auf
Und als dann im Mai 2020 die Wahlkampagne startete, begannen dieselben Leute, – Arbeiterinnen, Programmierer, Geschäftsleute, Ärzte, Studierende, Rentner … – beflügelt vom „Wir kriegen das
Als die Menschen massenhaft gegen die Verfolgung von Kandidatinnen und Kandidaten und von Mitgliedern ihrer Koordinationszentren auf die Straße gingen, als sie gegen Wahlbetrug und gegen Gewalt an friedlichen Demonstranten protestierten, wurde die Solidaritätswelle noch größer. Die Menschen halfen sich gegenseitig mit allem, natürlich auch mit Geld. Die zivilgesellschaftliche Spendeninitiative BySol wurde ins Leben gerufen. (Die Initiative BySol wurde zu einer Stiftung, die später in Belarus als extremistisch eingestuft wurde. Dennoch hat sie allein im Jahr 2022 insgesamt 1.114.000 Euro an Hilfsgeldern weitergegeben.)
So stellte sich heraus, dass der Staat tatsächlich Angst vor Solidarität hat. Er begann, diejenigen, die Spenden für Rechtsanwälte und für Familien von politischen Häftlingen sammelten, zu verfolgen. Dies dauert bis heute an. Der Staat schnüffelt herum, um alle, die politische Gefangene unterstützen, ausfindig zu machen und gegen sie unmenschlich lange Haftstrafen zu verhängen. Mehr als drei Jahre sind seit August 2020 vergangen, doch der Staat hört nicht auf, diejenigen, die Gefangenen helfen, zu verfolgen – im Gegenteil, diese Verfolgung nimmt eine wilde, wahnsinnige Form an. So wird beispielsweise eine Haftstrafe von fünf Jahren verhängt, wenn jemand vor einigen Jahren 20 ertetendenzen“, „... Dollar spendete.
Der ehemalige Trainer der belarussischen Biathlon-Nationalmannschaft wurde innerhalb von drei Monaten zwei Mal für Spenden belangt und wegen der Finanzierung von extremistischen – oder sogar terroristischen – Aktivitäten angeklagt. Das Urteil lautete neuneinhalb Jahre Freiheitsstrafe mit strengen Haftbedingungen.
Allein im Juli 2023 verhängten belarussische Gerichte elf Strafen wegen solcher Spenden. Insgesamt belaufen sich diese Urteile in den letzten Jahren auf Dutzende, wenn nicht auf Hunderte Fälle. Nicht einmal belarussische Menschenrechtler, die die Repressionen dokumentieren, wissen über alle Fälle Bescheid. Familien mancher Häftlinge befürchten, das Publikmachen solcher Fälle könnte ihren Angehörigen schaden. Deshalb ähnelt die Hilfe für politische Gefangene in Belarus einer Untergrundaktivität, Partisanentum. Pakete für Menschen, die sich in Untersuchungshaft oder im Gefängnis befinden, Kommunikation mit den Angehörigen von Gefangenen und deren Unterstützung: Dies ist der Sinn und die Form der heutigen Untergrundarbeit.
Am 29. Juli 2023 veranstalteten belarussische Medien und Menschenrechtsorganisationen im Ausland einen Online-Solidaritätsmarathon mit belarussischen politischen Gefangenen „Wir sind nicht gleichgültig“. Politikerinnen und Politiker, Blogger, Musiker, Sportlerinnen und Sportler, ausländische Diplomaten, ehemalige politische Gefangene und Angehörige der derzeit Inhaftierten unterstützten die Initiative. In den ersten zwölf Stunden des Marathons wurden 355.000 Euro gesammelt, und bis Mitternacht am 30. Juli kamen mehr als 574.000 Euro an Spenden für politische Gefangene und ihre Familien zusammen. In Belarus werden Menschen für Spenden ins Gefängnis gesteckt, aber die Menschen, die sich in Sicherheit befinden, unterstützen ihre Landsleute weiterhin auf jede erdenkliche Weise. Ein solcher Marathon sieht beeindruckend aus, aber meistens ist diese Unterstützung nicht öffentlich – sondern still, zuverlässig und vertrauensvoll.
Der Staat versteht, was die größte Gefahr für ihn ist: Die Beziehungen zwischen den Menschen. Gerade deshalb schlägt er zu, wo immer diese Beziehungen greifbar werden und sich materialisieren. Der Staat braucht atomisierte, vereinzelte Individuen.
Und das bedeutet, dass die belarussische Gesellschaft den richtigen Weg gefunden hat: Empathie und Solidarität, Mitgefühl und gegenseitige Hilfe.
Ich glaube weder, dass in absehbarer Zeit irgendeine „nationale Versöhnung“ (oder „nationale Einheit“, wie es in den Propaganda-Medien heißt) möglich ist, noch, dass man mit den Anhängern des heutigen Regimes und den Opportunisten eine gemeinsame Sprache finden kann. Man kann aber stattdessen einen Monolog mit allen führen: ohne Worte, nur durch das, was man tut. Ob das den Sieg garantieren kann? Ob das wenigstens einen Schimmer der Hoffnung auf den Sieg geben kann? Das kann niemand vorhersagen. Doch sicherlich ist es die Mühe wert.
Aus dem Russischen übersetzt von Nika Mossessian
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