25 September 2023Georgia

Zwischen Freiheit und Unterordnung

Geschichte und Herausforderungen des unabhängigen georgischen Films

by Irine Beridze
Film still from SERGO GOTORANI© Veli


Nachdem der Oligarch Bidsina Iwanischwili und seine Partei Georgischer Traum an die Macht gekommen waren, wurden die Freiheiten in verschiedenen Bereichen des politischen und öffentlichen Lebens in Georgien eingeschränkt. Besonders schmerzhaft waren diese Einschränkungen für den Kulturbereich. Bis dahin unabhängige Kultureinrichtungen – wie das Nationale Buchzentrum, das Schriftstellerhaus, das Nationale Filmzentrum und das Nationalmuseum – wurden nach und nach gleichgeschaltet und unter die Kontrolle der Regierungspartei gestellt. Die Literaturwissenschaftlerin Irine Beridze erzählt, welchen Weg das georgische Kino seit der Unabhängigkeit und der Befreiung von der Zensur zurückgelegt hat – und vor welchen Herausforderungen es heute steht, wo die Meinungsfreiheit wieder in Gefahr ist.

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Die 1990er-Jahre: Formierung des unabhängigen georgischen Kinos

Die Formierung des neuen georgischen unabhängigen Kinos nimmt ihren Anfang in den frühen 1990er-Jahren, als die junge Republik am Rande des zerfallenen sowjetischen Imperiums ihren eigenen politischen und kulturellen Weg einschlägt. Der Bürgerkrieg in Tbilissi (1991/1992), die Kriege in der Region Zchinwali/Südossetien (1990-1992) und Abchasien (1992-1993) destabilisieren Georgien politisch und wirtschaftlich. Nicht nur die georgische Politik grenzt sich in dieser Zeit von imperialen und kolonialen Einflüssen Moskaus ab, sondern auch die georgische Kultur. Zwar hat die georgisch-sowjetische Filmgeschichte insbesondere mit der so genannten Neuen Welle der 1960er/1970er-Jahre großartige Filme und Namen hervorgebracht, trotzdem lässt sich nach der Unabhängigkeit eine vielfältige Öffnung und Neuformierung des Georgischen Neuen Films beobachten: Während die georgischen Filmemacher*innen im sowjetischen Zensursystem stets eine neue Filmsprache und kreative Mechanismen zur Umgehung der totalen Zensurstrukturen schufen, bringt die Unabhängigkeit neue internationale und transnationale Verflechtung des georgischen Films mit sich, ohne dass er dabei seinen eigenen spezifischen Charakter verliert. Während die Vertreter*innen der älteren Filmgeneration (Lana Gogoberidse, Otar Iosseliani, Merab Kokotschaschwili, Tengis Abuladse, Eldar Schengelaia, Sergo Paradschanow, Alexandre Rechwiaschwili u. a.) in ihren Filmen die Kritik an der sowjetischen Diktatur durch poetische Bildsprache und komplexe Metaphorik, parabolische Formen (Äsopische Sprache) und einen satirischen Scharfblick äußerten, fängt der Georgische Neue Film intensiv an, eine neue Filmsprache zu entwickeln. In der georgischen Filmwissenschaft ist oft von „Zensur als Gnade“ (G. Gwacharia) die Rede, die die sowjetisch-georgische Filmtradition gekonnt auf den Punkt bringt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion gerät die Filmindustrie in Georgien zunächst in eine Krise, die mit der plötzlichen Loslösung vom zentralisierten sowjetischen Filmsystem und mit der überraschenden Zensurfreiheit einhergeht.

 Film still from ZGVARZE Film still from ZGVARZE© Georgian National Film Center

Mit einigen wenigen Filmbeispielen lässt sich die These belegen, dass die georgischen Filmemacher*innen in Zeiten von politischen Unruhen es trotzdem geschafft haben, erste Anzeichen des neuen georgischen Arthouse- und Experimentalkinos zu setzen: Zu nennen sind hier die Filme von Dito Tsintsadse, der während des Krieges in Abchasien nach Deutschland emigrierte und 1991 mit seinem ersten kurzen Spielfilm STUMREBI (Die Gäste) debütierte und später mit ZGHWARZE (Am Rande, 1993) beim Filmfestival von Locarno den Silbernen Leoparden gewann. Tsintsadse thematisiert den aufkommenden Bürgerkrieg in Georgien, der plötzlich die ganze Gesellschaft durchdringt. Viele Schauspieler aus dem Film werden kurz darauf im Krieg in Abchasien fallen. Vielen retten die Dreharbeiten wiederum das Leben – „Es war einfach zu drehen, da niemand etwas spielte“, sagte der Regisseur später in einem Interview. Während des Krieges wird außerdem sehr pragmatisch mit der Filmästhetik umgegangen – der Wechsel zwischen farbigen und schwarz-weißen Aufnahmen ist einfach durch die Knappheit von Filmrollen bedingt. Schon hier findet der erste Bruch mit der sowjetischen Filmtradition statt. Die verschlüsselte, poetische Sprache wird durch die intensive Auseinandersetzung mit konkreten, aktuellen Themen in einem hybriden Filmgenre aufgebrochen: „Früher war der georgische Film voll Humor und Poesie. Wir brachten ganz andere Themen ein, die viel brutaler und blutiger waren. Die Filme waren härter und beschäftigten sich mit Dingen, über die keiner sprach“, so der Regisseur Dito Tsintsadse.

Film still from ARA, MEGOBAROFilm still from ARA, MEGOBARO© Georgian National Film Center

In die Reihe der Pionierarbeiten gehört außerdem der amateurhaft wirkende Film von Gio Mgeladse genannt werden: Sein Kurzfilm ARA MEGOBARO (Nein, mein Freund) wird 1993 fertiggestellt. Der Spielfilm dokumentiert das Schicksal von jungen Männern aus Tbilissi, die entweder im Bandenkrieg oder durch Drogenkonsum ihr Leben verlieren. Ein melancholisches und trauriges Porträt und ein visuelles Gedächtnis der Hauptstadt und deren Bewohnerinnen und Bewohner.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Filme Anfang der 1990er Jahre in erster Linie die Demoralisierung des Individuums, dessen Ausgrenzung, Entfremdung und den chaosähnlichen Zustand des jungen unabhängigen Staates thematisieren. Kriminelle Banden, Drogenmafia und die neu aufkommenden religiösen und ethnographischen Themen stehen für diese spezifische Krisenzeit des georgischen Films.

Film still from SHEKVAREBULI KULINARIS 1001 RECEPTIFilm still from SHEKVAREBULI KULINARIS 1001 RECEPTI© Les Films Du Rivage

Einige Filme feiern in dieser Zeit zugleich auf den internationalen Filmfestivals erste Erfolge, wie Temur Babluanis Spielfilm UZINARTA MZE (Die Sonne der Wachenden, 1992), der 1993 den Silbernen Bären auf der Berlinale gewinnt. Auch Lana Gogoberidse dreht ihren ersten Spielfilm in der nun zensurfreien Heimat und beschäftigt sich mit WALSI PETSCHORAZE (Der Walzer auf der Petschora, 1992) erneut mit der eigenen traumatischen Familiengeschichte. In dieser Zeit dreht die georgische Regisseurin Nana Jorjadse ihre georgisch-französische Koproduktion SCHEKWAREBULI KULINARIS 1001 REZEPTI (1001 Rezepte eines verliebten Kochs, 1996). Es ist der erste Film, der im Namen Georgiens für den (Auslands-)Oscar nominiert wird. Bereits in der Sowjetzeit leisteten Regisseurinnen und Regisseure wie Nana Jorjadse einen wichtigen Beitrag in der Auseinandersetzung mit der sowjetischen Zensur. Ihr von der Zensur verbotener Film MOGZAUROBA SOPOTSCHI (Die Reise nach Sopot, 1980) konnte sieben Jahre später erscheinen und gewann auf dem Festival in Oberhausen 1987 den großen Preis. Auch ihr Spielfilmdebüt ROBINZONIADA; ANU CHEMI INGLISELI PAPA (Die Robinsonade oder mein englischer Großvater) konnte trotz Zensurversuchen 1987 auf dem Filmfestival in Cannes mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet werden. Die Tatsache, dass diese Filme gezeigt werden konnten, weist bereits auf die ideologische Verschiebung in der sowjetischen Filmindustrie hin – diese Filme wurden zu einem Scharnier hin zum neuen georgischen Film.

Neue institutionellen Strukturen

Mit den 2000er-Jahren geht auch die Gründung einer neuen Filminstitution in Tbilissi einher – damit wird die mehr als zehnjährige Stagnationsphase der georgischen Filmindustrie überwunden: Das Nationale Filmzentrum, im Jahre 2001 als Teil des Ministeriums für Kultur und Denkmalschutz gegründet, legt durch seine Aktivitäten die staatliche Politik im Bereich des Films fest und sorgt für staatliche Unterstützung zur Entwicklung der neuen georgischen Kinematografie. Im Unterschied zum sowjetgeorgischen und dem postsowjetischem Kartuli-Filmi, ist die Tätigkeit des Filmzentrums durch sichtbare Strukturen und demokratische Auswahlverfahren in der Filmförderung gekennzeichnet. Eine (langsame) Renaissance des georgischen Films beginnt mit einem besonderen Akzent auf dokumentarischen Arbeiten (Ulrich Gregor).

Neben dem Spielfilm ist es der neue georgische Dokumentarfilm, der diese Phase des georgischen Kinos einleitet.

In dieser Zeit entsteht ein besonderes Filmprojekt, das als hybrides Genre eine aus Abchasien geflüchtete Familie in den Blick nimmt: Der Film SERGO GOTORANI (Sergo, der Schlawiner) von Irakli Paniaschwili ist ein Ein-Mann-Projekt, da der Regisseur selbst das Drehbuch schrieb, die Regie führte und den Film produzierte. Seine Premiere feierte der Film auf dem Internationalen Filmfestival von Tbilissi im Jahr 2009 und wurde in Georgien von der Kritik überwiegend positiv aufgenommen. Doch blieb der Film zum größten Teil ein Außenseiterprojekt und weitgehend unsichtbar. Dies könnte auch an seiner experimentellen Form und Bildsprache liegen. Der Ich-Erzähler führt in einer tiefgreifenden Dramatik ungeschönt das prekäre Leben während der Flucht vor Augen.

Die ersten internationalen Filmfestivals wie das Internationale Filmfestival von Tbilissi werden in dieser Zeit gegründet. Am Anfang mit knappen finanziellen Mitteln ausgestattet, später unterstützt vom Georgischen Filmzentrum und dem Kulturministerium, wurde es zum größten Filmfestival Georgiens. Auch das Batumi International Art-House Film Festival (BIAFF) findet seit dem Gründungsjahr 2006 jährlich im September an der Schwarzmeerküste statt und führt die Tradition der Schwarzmeer-Filmfestivals, wie die Filmfestivals von Odessa oder Varna, weiter. Seit 2013 wird in Tbilissi außerdem das CinéDOC-Tbilisi, das erste internationale Dokumentarfilmfestival im Südkaukasus, organisiert. Das Festival hat das Ziel, „eine starke regionale Identität im Südkaukasus zu schaffen, die auf einer gemeinsamen Geschichte und kulturellen Werte basiert“. Mit der Wettbewerbssektion Focus Caucasus und durch die Pitchingplattform New Talents Caucasus wird ein einzigartiger kreativer Raum zwischen Filmemacherinnen und Filmemachern aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien geschaffen.

Der Georgisch-Russische Krieg im Jahr 2008 bringt die Filmbranche erneut in einen Krisenzustand, von dem sich der georgische Film erst Jahre später erholt. Zur Dekolonisierungsdynamik des Kinos im postsowjetischen Georgien kann zusammenfassend angemerkt werden, dass der endgültige Bruch mit der russischen Filmindustrie viel rascher erfolgte als in den anderen postsowjetischen Republiken. So blieben beispielsweise die Verbindungen in der Filmbranche zwischen Kyjiw und Moskau selbst nach der Krimannexion 2014 weiterhin bestehen und das Russische dominierte lange die Filmsprache (I. Kozlenko). Georgische Filmemacher*innen dagegen öffneten sich schon Anfang der 1990er Jahre gegenüber westlichen Produktionsfirmen, knüpften ersten Kontakte im Ausland, blieben aber dem Herkunftsland weiterhin verbunden. Der Russisch-Georgische Krieg 2008 markiert eine endgültige Zäsur und kappt die letzten kulturellen Verbindungen zum russischen Zentrum. Damit löst sich das Georgische Neue Kino nun final von der imperialen kulturellen Dominanz Russlands ab.

Neues weibliches Dokumentarkino aus Georgien

Die Rosenrevolution 2003 schließlich bedeutet einen wichtigen politischen Systemwechsel, der das Jahrzehnt des Stillstands mit Eduard Schewardnadse an der Macht erfolgreich überwindet. Mit dem neuen demokratischen, liberalen System wird die Krise der Filmbranche jedoch nicht auf Anhieb überwunden. Neben dem überwiegend männlich dominierten Spielfilm sind es die georgischen Dokumentarfilmemacherinnen, die dem georgischen Gegenwartskino schließlich ein neues Gesicht verleihen. Oft aus journalistischem Hintergrund kommend, debütieren junge Autorinnen ab den 2000er-Jahren mit ihren Arbeiten. Der neue weibliche Dokumentarfilm aus Georgien greift unmittelbar akute soziale Themen auf, stellt weibliche Protagonistinnen gezielt in den Vordergrund der Erzählung, behält neben dem Privaten auch das Öffentliche aktiv im Blick und verwebt die Narrative oft in die spezifischen regionalen Kontexte der südkaukasischen und nordkaukasischen transnationalen Räume. Themen wie die Emanzipation von Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten, Umweltschutz sowie eine spezifisch weibliche Erfahrung im Krieg und damit verbundene Flucht- und Traumatisierungserfahrungen spielen hier eine zentrale Rolle.

Film still from MILSADENIS MEZOBLEBIFilm still from MILSADENIS MEZOBLEBI© ARTE France 4

Zentrale Figur der neuen Welle der georgischen Filmtradition ist die georgisch-französische Regisseurin und Schauspielerin Nino Kirtadse. Nach ihrem literaturwissenschaftlichen Studium in Tbilissi, berichtet sie in den 1990er Jahren zunächst als Reporterin aus den Kriegen im Kaukasus. Parallel wird sie in den Filmen von Nana Jorjadse als Schauspielerin engagiert. 1997 emigriert sie nach Frankreich und debütiert im Jahr 2000 mit einem Film über Eduard Schewardnadse. Später folgen die Dokumentarfilme CHECHEN LULLABY (2001) und MILSADENIS MEZOBLEBI (The Pipeline Next Door, 2005) über den Bau der so genannten „Neuen Seidenstraße“ der „Bako-Tbilisi-Ceyhan-Pipeline“ im Borjomi-Tal in Georgien. Diese Arbeit markiert den Anfang einer neuen Tradition des georgischen Ecocinema und porträtiert die Dorfgemeinschaft in unmittelbarer Berührung mit den Interessen des internationalen Großkonzerns british petrol (bp) und der Logik des Kapitals.

Film still from DADUMEBULEBIFilm still from DADUMEBULEBI© Salomé Jashi

In diese Zeit fallen auch Salomé Jashis erste dokumentarische Kurzfilme. Bevor Jashi 2008 gemeinsam mit ihrer Kollgin Anna Dsiapschipa die unabhängige Produktionsfirma Sakdoc in Tbilissi gründet, debütiert sie 2006 mit der Kurzdoku MATI WERTMPRENI (Their Helicopter), die auf dem DOK Leipzig gezeigt wird. 2009 folgt der experimentelle Kurzdokumentarfilm DADUMEBULEBI (Speechless), der in Form eines filmischen Zeugnisses des russisch-georgischen Krieges 2008 die verheerende Kriegstraumatisierung belegt. Mit LIDERI KOWELTWIS MARTALIA (A Leader is Always Right, 2010) filmt sie die georgischen patriotischen Ferienlager und zeigt ein schonungsloses Bild der ideologischen Indoktrination.

Film still from ALTZANEYFilm still from ALTZANEY© Artefact Production

Die georgische Produzentin und Dokumentarfilmemacherin Nino Orjonikidse gründet 2008 die Produktionsfirma Artefact Production und wird international durch das Gemeinschaftwerk (zusammen mit Vano Arsenischwili) ALTZANEY (2009) bekannt (DOK Leipzig 2009; Krakow Film Festival 2010). Aktuell lehrt Nino Orjonikidse in Tbilissi experimentelles und dokumentarisches Filmemachen und betreut die multimediale Plattform Chai Khana als Redakteurin und Mentorin, die mit Schwerpunkt auf dem Südkaukasus mehrsprachige Kurzfilme produziert. Mit INGLISURIS MASCAWLEBELI (English Teacher, 2012) kommentiert sie die Initiative des damaligen Präsidenten eine „Linguistische Revolution“ herbeizuführen, indem man in den georgischen Regionen ausländische Englischlehrerinnen und Lehrer engagiert: Sie zeigt diese „Revolution“ als einen weiteren, raschen Modernisierungsgedanken, der wenig mit den Realitäten in den Peripherien Georgiens zu tun hat. Mit dem Film GWIRABI (Der Tunnel, 2019) konzentriert sie sich gemeinsam mit Vano Arsenischwili auf das nächste große Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“, die zwischen China und Westeuropa über Georgien verlaufen soll, und auf dem Weg dahin die peripheren Räume und Ökologien erschüttert. Die Interessen des globalen Kapitals stoßen auch hier erneut auf die Lebensräume von georgischen Bauern.

Zwischen Unabhängigkeit und Unterordnung – Aktuelle Filmproteste

In der noch sehr brüchigen Demokratie mit häufigen Machwechseln ändern sich auch die kulturpolitischen Dynamiken in der georgischen Filmbranche. Das Nationale Filmzentrum etabliert sich dabei als zentrale institutionelle Größe und einziges fundamentales Fördersystem des Neuen Georgischen Kinos. Trotzdem bleibt es dem georgischen Kulturministerium direkt untergeordnet – das Kulturministerium ist befugt, die Direktorin bzw. den Direktor des Zentrums eigenständig zu bestimmen. Aktuell kämpft das Nationale Filmzentrum in Tbilissi um seine Unabhängigkeit. Der langjährige Direktor des Zentrums Gaga Chkheidze, der 2023 mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet wurde, wurde im März 2022 unter dem vorgeschobenen Vorwurf „schwerwiegender Mängel im bestehenden Finanzmanagementsystem“ entlassen. Dem Internationalen Filmfestival in Tbilissi, das er ebenfalls leitet, wurde die staatliche Finanzierung teilweise entzogen. Der eigentliche Grund seiner Entlassung könnte seine Entscheidung sein, den Einkauf von georgischen Filmkopien aus dem russischen „Gosfilmofond“ zu stoppen. Das Zentrum hielt es wegen des anhaltenden russischen Krieges in der Ukraine für unangemessen, mit der russischen Haushaltsorganisation zu kooperieren. Chkheidzes Entlassung wurde durch die umstrittene Kulturministerin Tea Tsulukiani veranlasst, die der Regierungspartei Georgischer Traum mit dem Oligarchen Bidsina Iwanischwili als eigentlicher Parteispitze angehört. Nach der gezielten Zerstörung des georgischen Nationalen Buchzentrums, hat das Ministerium nun die sogenannte „Reorganisation“ des Filmzentrums angekündigt. Georgische Filmemacherinnen und Filmemacher, Produzentinnen und Produzenten, Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren und andere demonstrieren derzeit im Georgischen Filmzentrum und vor dem Kulturministerium in Tbilissi. Es geht ihnen um den Schutz des Filmzentrums vor staatlichen Zensurmechanismen, Propaganda und ideologischen Dogmen, womit die georgische Regierung derzeit alle kulturellen Institutionen des Landes gezielt indoktrinieren und gleichschalten möchte.

Film still from MOTVINIEREBAFilm still from MOTVINIEREBA© Mira Film, CORSO Film, Sakdoc Film

Dieser Prozess nimmt seinen Anfang im vergangenen Jahr, als nach dem internationalen großen Erfolg des Dokumentarfilms MOTWINIEREBA (Taming the Garden, 2021) von Salomé Jashi (Berlinale Forum, Premiere auf dem Sundance Film Festival, Nominierung für European Film Award) dessen Vorführungen im „Haus des Films“ in Tbilissi vom Direktor der Georgischen Kinoakademie Mindia Esadze prompt abgesagt werden. Der Film verfolgt das ambitionierte Projekt des reichsten Mannes Georgiens, einen exotischen Garten an der westgeorgischen Schwarzmeerküste anzulegen. Der Oligarch Bidsina Iwanischwili (dessen Name im Film nicht genannt wird) kauft aus den umliegenden Dörfern Jahrhunderte alte Bäume ein, lässt sie teilweise per Schiff über das Meer transportieren, um sie schließlich in seinem privaten Garten wieder einzupflanzen. Später wird der Garten teilweise für die Öffentlichkeit geöffnet.

Die georgische Filmbranche und das georgische PEN-Zentrum schlagen schon damals Alarm und sprechen vom ersten Zensurfall nach der Unabhängigkeit Georgiens. Etliche Kinos und Kulturräume solidarisieren sich mit der Regisseurin und organisieren spontan öffentliche Filmscreenings: Nach dreißig Jahren der Unabhängig würde erneut der Versuch einer staatlichen Zähmung der georgischen Kultur und des georgischen Films unternommen.

Der „Fall Motwiniereba“ findet in den derzeitigen Filmprotesten seine Aktualisierung: Der Vorsitzende der regierenden Partei, Irakli Kobachidse, greift im Juni die Regisseurin Salomé Jashi und ihren Dokumentarfilm öffentlich und direkt an, bezeichnet die Arbeit als „beschämend“ und „absurd“ und kritisiert zugleich das Filmzentrum, das es solche Projekte überhaupt möglich mache.

Im November 2022 gründen die georgischen Dokumentarfilmemacherinnen und Filmemacher eine neue Plattform namens DOCA (Documentary Association Georgia), um sich zukünftig stärker zu vernetzen und die ersten unabhängigen Strukturen jenseits des Nationalen Filmzentrums zu schaffen. Sie schreiben über sich: „DOCA Georgia works for independence, accessibility, transparency and viability of the film industry in the country.“ Der neue georgische Dokumentarfilm ist heute so stark wie noch nie, doch der entscheidende Kampf um die Unabhängigkeit geht weiter.

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