Жыццё пад сталом
Напярэдадні Невядомага беларуская пісьменніца гуляецца з Мінулым
20 December 2023
In diesem Artikel analysiert Tamta Mikeladse, Gründerin der Nichtregierungsorganisation Social Justice Center und Dozentin an der Staatlichen Ilia-Universität, die Machtstruktur der georgischen Regierungspartei Georgischer Traum und das oligarchische System des Parteigründers Bidsina Iwanischwili. Die Juristin und Menschenrechtlerin zeigt den Abstieg Georgiens zu einem hybriden Autoritarismus auf – anhand von zehn Merkmalen der Machtakkumulation und der Aushöhlung der Demokratie.
ქართული English Deutsch Русский
Während die Russische Föderation ihren brutalen Krieg in der Ukraine fortführt, sind in Georgien die Veränderungen in der Innen- und Außenpolitik überdeutlich geworden. Gleichzeitig mit den autoritären Tendenzen und Krisen innerhalb des Landes werfen auch negative außenpolitische Entwicklungen die Frage auf, wie stark sich die Regierungspartei Georgischer Traum den
Die georgische Öffentlichkeit ist zunehmend ernsthaft besorgt über die Entwicklung des Landes. Dies ist Thema auf den Straßen, bei Kundgebungen und Demonstrationen, in Universitäten, Stadtvierteln und Haushalten. Man fragt sich, warum die Regierungspartei täglich
Die georgische Gesellschaft hat keine klaren Antworten auf diese Fragen. Manche glauben, der Georgische Traum ziele auf den politischen und wirtschaftlichen Machterhalt ab. Andere meinen, dass die Regierungspartei dem weltweiten Trend zum wachsenden Autoritarismus folgt (der insbesondere auch in Georgiens Nachbarländern Aserbaidschan, Türkei und Russland zu beobachten ist). Andere wiederum erklären diese Entscheidungen mit den geopolitischen Interessen des Georgischen Traums und einer angeblichen Allianz zwischen dem Kreml und Parteigründer Bidsina Iwanischwili, ein Oligarch mit Verbindungen nach Moskau [Iwanischwili ist Gründer und ehemaliger Vorsitzender des Georgischen Traums sowie ehemaliger Premierminister –
Schaut man Zahlen zur Handelsbeziehung zwischen Georgien und Russland genauer an, so zeigt sich, dass die Importe aus der Russischen Föderation seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine um 82 % gestiegen sind. Die Importe von Erdölprodukten stiegen um 403 %, gefolgt von Kohle (309 %) und Baumetallen (1493 %). 67 % der russischen Importe fallen unter die Liste der von den USA oder der EU sanktionierten Waren, wobei Erdölprodukte und Erdgas den größten Anteil ausmachen. Die Verfünffachung der Importe von Erdölprodukten geht weit über den Bedarf des georgischen Marktes hinaus und lässt Fachleute vermuten, dass Erdöl unter Umgehung der Sanktionen verkauft wird (Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2023). Zur gleichen Zeit sickerten Gespräche zwischen Grigori Karassin, dem Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des russischen Föderationsrates, und Surab Abaschidse, dem Sonderbeauftragten des georgischen Premierministers für Russland, an die georgischen Medien durch: Darin ging es um den Bau eines neuen Verkehrskorridors zwischen Russland und Georgien und um die Verbesserung der Straßeninfrastruktur zwischen Russland und dem Südkaukasus. Doch solche neuen Wirtschaftsinteressen und Geschäfte, die den Krieg in der Ukraine ausnutzen, sind unmoralisch und unethisch. Sie könnten eine Schattenwirtschaft und damit wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland fördern – mit all den politischen Risiken, die daraus folgen. Einige vermuteten, dass Iwanischwili seine russischen Interessen aufgrund der massiven antirussischen Stimmungen in der georgischen Gesellschaft verschleiern musste, dabei aber gleichzeitig prorussische Gruppen unterstützte und eine antiwestliche, konservative Propaganda verbreitete. Doch nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine und der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen kann die Regierungspartei ihre
Welches Ziel verfolgt der Georgische Traum? Um diese Frage zu beantworten, braucht es einen vollständigen Einblick in die Praktiken, Instrumente und Techniken, die die Regierungspartei zum Machterhalt einsetzt. Es gibt bisher nur schwache Versuche, die Machtstrukturen der Regierungspartei und ihre informelle, nicht greifbare und oft flüchtige Natur zu analysieren und theoretisch zu beschreiben.
1. Eines der grundlegenden Merkmale des Georgischen Traums ist die Abwesenheit von Entwicklungszielen. Anders als die Regierung nach der Rosenrevolution, die den Anspruch hatte, mit radikalen, schnellen und oft unbedacht schmerzhaften Reformen den Grundstein für einen neuen georgischen Staat zu legen, versprach der Georgische Traum zunächst Stabilität und Pragmatismus. In der Anfangsphase ließ das Wahlbündnis des Georgischen Traums einen gewissen Pluralismus zu, ohne klare ideologische und wertebasierte Ziele zu verfolgen; dadurch war das Wesen und die Grenzen seiner Macht schwer zu verstehen. Diese politische Uneindeutigkeit und eine gewisse Behutsamkeit waren anfangs eine Erleichterung für die georgische Gesellschaft, die der schnellen und forcierten Modernisierung in der Zeit nach der Rosenrevolution müde war. Nach der russischen Invasion in der Ukraine aber startete der Georgische Traum alarmierend schnell und unerwartet Veränderungen, die Anzeichen von demokratischem Rückschritt sowie autoritären Tendenzen aufweisen: Während die Regierungspartei nicht einmal auf rhetorischer Ebene irgendwelche Entwicklungsziele verfolgt, ordnet sie die staatlichen Institutionen immer stärker der Kontrolle der Partei unter. Viele Fachleute befürchten, dass sich die autoritären Tendenzen verstärken, während die politischen und gesellschaftlichen Freiheiten weiter eingeschränkt werden.
2. Das wichtigste Versprechen des Georgischen Traums vor den Wahlen 2012 war, Gewalt abzulehnen und systemische Veränderungen anzustoßen. In der Tat leitete die Regierungspartei zunächst einige institutionelle Verbesserungen ein. Sobald der Georgische Traum jedoch mit seiner ersten Krise konfrontiert wurde, griff die Partei auf die gleichen Instrumente der Machtkonsolidierung und sozialen Kontrolle zurück wie ihre Vorgänger.
3. In den ersten Jahren der Regierung verzichtete der Georgische Traum auf offene Gewalt und setzte stattdessen auf eine sanftere Regierungsführung. Gleichzeitig tolerierte er aber soziale Gewalt und unterstützte politisch und rechtlich konservative und/oder offen prorussische Gruppen, die verschiedene gesellschaftliche Fraktionen (Opposition, Medien, LGBTQ+, religiöse Minderheiten usw.) schikanierten. Heute sind die politischen und sozialen Hassreden und die
Vor allem reproduziert der Georgische Traum dabei das autoritäre Erbe der vorherigen Regierung: Abbau des gegenseitigen Kontrollsystems; fehlende Machtverteilung und keine Regeln für ein einvernehmliches Vorgehen im Parlament; Etablierung von
In den letzten zwei Jahren ist die auf Kontrolle und Repression beruhende Regierungspraxis des Georgischen Traums noch intensiver und willkürlicher geworden, – was deutlich auf den Übergang Georgiens von einer hybriden Demokratie zum hybriden Autoritarismus hinweist.
4. Die informelle Regierungsführung und die informellen Einflüsse, die in erster Linie auf Bidsina Iwanischwili zurückzuführen sind, sind zur Norm geworden. Iwanischwili, der als Premierminister kurz nach der Amtsübernahme schon wieder zurücktrat und damit die formale Macht abgab, fungiert seither als eine schemenhafte Übermacht, die im Bedarfsfall zur Deeskalation von Krisen beiträgt. In den letzten Jahren hat der Oligarch jedoch das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren. Jetzt liegt er in Meinungsumfragen weit hinter den Spitzenpolitikern und Bürgermeistern seiner Regierung. Auch wenn Iwanischwili weiter einen übermäßigen Einfluss auf die Partei und die staatlichen Institutionen innehat, verfügt er nach dem Verlust seiner
5. Das oligarchische System des Georgischen Traums hat die Grenzen zwischen politischen und privaten Interessen so sehr verwischt, dass der Erhalt der politischen Macht inzwischen gleichbedeutend ist mit dem Erhalt des Reichtums. Iwanischwili steht an der Spitze der oligarchischen Pyramide, während andere Personen und Gruppen um politische und wirtschaftliche Macht und Ressourcen kämpfen. Wer außerhalb dieser Pyramide ist, erhält keinen Zugang zu Ressourcen oder wird zum Feind erklärt. Nach der Rosenrevolution bestand die Regierung auf eine scharfe Trennung von Politik und
6. Elf Jahre nach ihrer Machtübernahme kämpft die Regierung des Georgischen Traums um massive Zustimmung bei den Wahlen. Das Misstrauen zu vertiefen und die gesellschaftliche wie politische Polarisierung zu fördern, gehört dabei zur wichtigsten Strategie für den Machterhalt. Seit mehreren Jahren versucht der Georgische Traum, alle politischen und
7. Der Georgische Traum instrumentalisiert soziale Verwundbarkeit und Armut. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist von 2011 bis 2022 um 65 % gestiegen. Bis 2022 waren
8. Um das aktive Potenzial der Wählerschaft grundsätzlich zu erschüttern und zu untergraben, instrumentalisiert die Regierung des Georgischen Traums immer wieder die Traumata und Ängste im Zusammenhang mit Krieg und bewaffneten Konflikten. Der Krieg in der Ukraine hat die Erinnerung an Kriegstraumata in der georgischen Gesellschaft wiederbelebt und alte Wunden aufgerissen. Seit dem Beginn der russischen Invasion im Jahre 2022 sind die sozialen Netzwerke voller Geschichten von Flüchtlingen, ihrer Not, ihrem Schmerz, ihren Verlusten und unauslöschlichen Schäden. Der Georgische Traum hat begonnen, diese Wunden zu instrumentalisieren. Die Kernbotschaft der Regierungspartei lautet seit fast einem Jahr: Es gebe ein globales Interesse, Georgien in den Krieg zu „involvieren“, und der Georgische Traum sei die einzige Kraft, die den Frieden im Land sichern könne. Dafür brauche man eine pragmatische Politik und eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland. Die Regierung behauptet, Frieden zu garantieren. Diese Behauptung ist peinlich und realitätsverzerrend in einem Land, in dem es im Alltag keinen Frieden gibt, in dem die russischen Besatzungstruppen Dutzende von georgischen Bürgerinnen und Bürgern in den Dörfern entlang der Trennungslinie bewachen, in dem der Prozess neuer „Grenzziehungen“ weitergeht, in dem immer weitere Orte der russischen Kontrolle unterworfen werden und in dem ethnische Georgierinnen und Georgier unter einer permanenten humanitären Krise leiden.
9. Die Instrumentalisierung konservativer Gefühle.
Für den Machterhalt nutzt die Regierungspartei aktiv die Unterstützung der georgisch-orthodoxen Kirche und propagiert politische Homophobie, oft mit geopolitischen Anspielungen. Die orthodoxe Kirche, die in der jüngsten Vergangenheit im verfeindeten politischen Umfeld vermittelte, hat sich inzwischen zu einer offen regierungstreuen Institution entwickelt. Dieser Rollenwandel lässt sich auf den ersten Blick durch Krisen innerhalb der Kirche und durch die vermeintlich natürliche Affinität der Kirchenführung zum konservativen Populismus des Georgischen Traums erklären. Ein tieferer Grund könnte jedoch in den harten Kontrollmechanismen liegen, die die Regierung gegenüber der georgisch-orthodoxen Kirche einsetzt. Geleakte Informationen deuten vor zwei Jahren darauf hin, dass der Inlandsgeheimdienst routinemäßig die persönliche Kommunikation des Klerus überwacht, abgehört und unrechtmäßig gespeichert hat, was effektiv als Druckmittel und Kontrollinstrument eingesetzt wurde.
10. Der konservative, antiliberale Populismus des Georgischen Traums folgt dem Muster der anderer zeitgenössischer autoritärer Regime. Er basiert auf der Logik der Mehrheitsillusion und ist im Wesentlichen antipluralistisch. Wer die Behörden kritisiert, wird als Feind des Staates und der Kirche abgestempelt, als Extremist, der keinen Respekt und keine politische Existenz verdient. Die Gegner werden so sehr dämonisiert, dass es inzwischen zu gewalttätigen Übergriffen, Einschüchterung und gar zum Tod kommt. Der Regierung ist es gelungen, Ängste, Affekte und Ressentiments zu mobilisieren und sie in die eigene Propaganda einfließen zu lassen. Auch das Medien- und Werbemonopol nutzt sie, um die Massen zu beeinflussen. Aktuelle quantitative Studien legen nahe, dass diejenigen, die für die amtierende Regierung stimmen, stärker polarisiert sind. Laut den Ergebnissen der
Das politische System des Georgischen Traums lässt sich zweifellos als hybrider Autoritarismus bezeichnen. Dieser beruht auf der Logik der Machtkonsolidierung, der politischen Akkumulation wirtschaftlicher Ressourcen und auf Populismus. Die Struktur der Regierungsgewalt nimmt aufgrund einer Fülle informeller Einflüsse eine Form von Patromonialismus an – mit katastrophalen Folgen nicht nur für die Demokratie und die institutionelle Politik, sondern auch für die immer schwächer und kleiner werdende öffentliche Sphäre, die politischen Freiheiten und die bürgerliche Selbstorganisation. Eine neue Welle populistischer Rhetorik wiederholt oft die Sprache und Logik zeitgenössischer autoritärer Regime, die sich auf
Offen bleibt die eingangs aufgeworfene Frage, ob die negativen Trends der letzten Jahre der politischen Krise und dem Streben nach Machterhalt geschuldet sind – oder den Veränderungen in der Außenpolitik. Denn eine Kette von Ursachen, Einflussfaktoren und Konsequenzen droht der Beobachterin zu entgleiten und sich im Labyrinth der informellen Politik zu verlieren. Doch auch ohne irgendwelche Kausalzusammenhänge ist es offensichtlich, dass die Folgen dieser Veränderungen für die fragile georgische Staatlichkeit verheerend sind: Sie haben die Demokratie ausgehöhlt und könnten die politische Geografie des Landes verändern, – wenn die georgische Gesellschaft die Dinge nicht selbst in die Hand nimmt und diesen Prozess endlich aufhält.
Aus dem Englischen übersetzt von Pavel Sirotkin
Напярэдадні Невядомага беларуская пісьменніца гуляецца з Мінулым
20 December 2023On the eve of the unknown the Belarusian writer is playing with the past
20 December 2023Im Angesicht der ungewissen Zukunft spielt eine belarussische Schriftstellerin mit der Vergangenheit
20 December 2023Накануне Неизвестного беларуская писательница играет с Прошлым
20 December 2023Ռուսաստանն օգտագործել է Լեռնային Ղարաբաղի հակամարտությունը որպես իր աշխարհաքաղաքական շահերն առաջ մղելու սակարկության առարկա
12 December 2023Russia used the Karabakh conflict as a bargaining chip to advance its geopolitical interests
12 December 2023Wie Russland im Spiel um seine eigenen geopolitischen Interessen den Berg-Karabach-Konflikt als Trumpf nutzte
12 December 2023Как карабахский конфликт стал разменной монетой в российских геополитических играх
12 December 2023ამბავი ქართული პოსტკონსტრუქტივიზმისა
11 December 2023The history of Georgian post-constructivism
11 December 2023Die Geschichte des georgischen Postkonstruktivismus
11 December 2023История грузинского постконструктивизма
11 December 2023